Zusammenarbeit ist der Schlüssel: Interview mit Christian Maassen zu Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie
Back to Blog PageChristian Maassen von EcoVadis über nachhaltige Lieferketten in der Elektronikindustrie. Er ist „Nachhaltigkeitsenthusiast” und sorgt als Account Executive von EcoVadis bei Kunden für Klarheit und Sicherheit über die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette. Fokus legt er dabei auf größere mittelständische Unternehmen in ausgewählten Industrien. Christian Maassen hat zuvor das Marketing von zwei Unternehmen verantwortet und dort u.a. das Thema Nachhaltigkeit vorangetrieben. Der Diplomkaufmann hat an den Universitäten in Bayreuth und Marburg studiert und lebt in der Nähe von Marburg.
Das Interview führte Thomas Heine, Herausgeber “Kleine Kniffe”
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um mit uns über nachhaltige Lieferketten in der ICT- und Elektronikindustrie zu sprechen. Welche Kriterien machen Ihrer Meinung nach einen guten Lieferanten für Elektronikhersteller aus?
CM: Neben den klassischen Kriterien wie Preis, Qualität und Lieferzeit rückt die Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus. Ein Lieferant für die Elektronikindustrie sollte anerkannte Nachhaltigkeitszertifizierungen wie ISO 14001 vorweisen können. Transparenz und die Fähigkeit, die Herkunft von Materialien nachzuweisen, sind ebenfalls entscheidend. Lieferanten, die einen niedrigen CO₂-Fußabdruck aufweisen, faire Arbeitsbedingungen unterstützen und Recycling sowie Kreislaufwirtschaft fördern, sind besonders gefragt. Die Bedeutung von Widerstandsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen und diese steht oftmals in direkter Verbindung zur Nachhaltigkeitsleistung.
Welche Regionen sind aktuell die wichtigsten Einkaufsmärkte für Elektronikprodukte, und welche Herausforderungen gibt es?
CM: Etwa die Hälfte der weltweiten Elektronikproduktion stammt aus APAC-Ländern, insbesondere China, das als größter Hersteller eine zentrale Rolle spielt. Auch Südkorea und Taiwan sind aufgrund ihrer Halbleiterproduktion essenziell. Es gibt jedoch geopolitische Spannungen und Lieferengpässe, die Risiken darstellen. Weitere bedeutende Märkte sind Japan, Südostasien, die USA und Europa. Alle Regionen haben ihre eigenen Herausforderungen, wie steigende Kosten, wechselseitige Abhängigkeiten und zunehmende Umweltauflagen. Hinzu kommen die Entwicklungen menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten über Gesetze und Reportingpflichten in Europa und anderen Märkten, auch diese Risiken müssen mitbetrachtet werden im Einkauf. Die Herausforderung ist also komplex, denn der Einkauf muss kommunizieren und Risiken bewerten, um global und nachhaltig einkaufen zu können.
Neben Nachhaltigkeit – welche weiteren Brennpunktthemen beschäftigen Einkäufer und Einkäuferinnen in der Elektronikindustrie?
CM: Neben den allgemeinen Themen um ESG rückt die “Product compliance” in den Fokus der Einkaufsteams. Ein großes Thema ist das Conflict Minerals Reporting Template (CMRT), bei dem Unternehmen die Herkunft von Konfliktmineralien offenlegen müssen. Weitere Herausforderungen sind die Einhaltung von Richtlinien wie RoHS und REACH, die Nutzung von umweltfreundlichen Chemikalien sowie die Reduzierung des Product Carbon Footprint. Zudem gewinnen Mechanismen wie der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der EU zunehmend an Bedeutung. Hier braucht es einen einfachen und direkten Austausch mit den Lieferanten, um die richtigen Werte zu haben. Viele der Themen, ob nun aus dem Bereich Produktsicherheit oder auch Konfliktmineralien, sind sehr eng mit Nachhaltigkeits- und ESG-Themen verknüpft – von Arbeits- und Menschenrechten bis hin zu Zirkularität.
Einige Unternehmen könnten befürchten, dass schlechte Bewertungen durch EcoVadis ihre Lieferantenbeziehungen gefährden. Wie stehen Sie zu dieser Sorge?
CM: Unser Ziel ist es, Unternehmen auf ihrem Weg zu einer nachhaltigeren Lieferkette zu unterstützen, mögliche Schwachstellen aufzuzeigen und Verbesserungen anzustoßen. Es geht um Entwicklung und Zusammenarbeit. Für Einkaufsorganisationen ist eine Aufkündigung der Geschäftsbeziehung höchstens die Ultima Ratio am Ende eines intensiven Verbesserungsmanagementprozesses. In der Praxis passiert das sehr selten, z.B. wenn sich beispielsweise ein Lieferant konstant weigert, dringend notwendige Abhilfemaßnahmen umzusetzen. Diese Verbesserungsbereiche gibt es fast immer – unabhängig vom Gesamtscore oder Medaillenlevel. Der Wille, an diesen Verbesserungsbereichen zu arbeiten, zeigt Engagement und setzt ein positives Signal in der Geschäftsbeziehung. Unsere Kunden wissen das zu schätzen.
Wie können Hersteller konkret ihre Lieferanten einbinden und zu Verbesserungen motivieren, um die Elektronikindustrie nachhaltiger zu machen?
CM: Der Schlüssel liegt in der Zusammenarbeit. Hersteller müssen eng mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten, um innovative und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Aus unserer Erfahrung funktioniert das in der Praxis besser mit Zuckerbrot als mit der Peitsche. Wir müssen Lieferketten stärker als Geschäftsbeziehungen und Partnerschaften sehen. Wenn Lieferanten einmal das “Warum”, die Hintergründe und auch die Mehrwerte verstehen, sind sie meistens bereit, sich auf die “Reise Nachhaltigkeit” zu begeben. Das kann zum Beispiel über Kommunikation und Schulungsangebote, die u.a. bei EcoVadis integriert sind, erfolgen. Darüber hinaus gibt es weitere Anreizmöglichkeiten, wie die Einbindung und Gewichtung von Nachhaltigkeit in Beschaffungsentscheidungen und die Verknüpfung mit finanziellen Anreizen bei Verbesserungen. Dies sind Möglichkeiten, die über Vertragsklauseln hinaus die Motivation fördern, sich nachhaltig zu verbessern. Nur gemeinsam können wir die Umweltstandards und Schutz von Menschenrechten verbessern und die Lieferketten zukunftsfähig machen. Kollaboration ist der Schlüssel und EcoVadis bietet die Plattform, um international, skalierbar und kollaborativ Nachhaltigkeitsverbesserungen umzusetzen.
Das Interview wurde ursprunglich in der Ausgabe 10/2024 des Magazins “Kleine Kniffe” veröffentlicht.